Home

Papier, Pappen, Praktikanten

Der Agenturalltag zur Jahrtausendwende

Wenn der Kuchen spricht, halten die Krümel den Mund. Als sich giraffentoast vor 18 Jahren auf wackelige Beine stellte, brillierte in Hamburg eine etablierte Werbeagenturszene mit inspirierenden Designern und Textern, die das junge Designbüro und ihre Menschen gefördert und ermutigt haben. Mit vielen von ihnen in jahrelanger Freundschaft und Kollegialität verbunden, unterhalten wir uns mit vier von ihnen über die Werbe-Welt im Jahr 2000. Der Eindruck, das alles sei erst gestern gewesen, täuscht: Kommunikation und ihre Herstellung haben sich im Vergleich zu heute massiv verändert. Deshalb kommen die Interviewpartner noch einmal im Kapitel „Arbeit der Zukunft“ zu Wort. Doch zunächst begeben wir uns in die Jahrtausendwende und lassen Constantin Kaloff (We-are-open-net), Harald Neidhardt (MLOVE), Hermann Waterkamp (Leagas Delaney) und Norman Störl (Blood Actvertising) den Agenturalltag im Jahr 2000 Revue passieren.

Think different. Die Arbeit am Apple Macintosh begleitet die Kommunikationsschaffenden schon seit dem Beginn der Bildschirmbildbearbeitung, der Grund lag vor allem in den beeindruckenden grafischen Möglichkeiten: Das, was man auf dem Bildschirm sah, war das, was aus dem Drucker kam, oder, wie der Laie sagt: WYSIWYG. Im Jahr 2000 war die Mac-Welt vor allem eins: bunt. Und auf ein Apple-Telefon wartete man mit Spannung sowie vorerst vergebens; der Platzhirsch hieß noch Nokia. Und was hatte man sonst noch so in der Agentur vor 18 Jahren?

Der Power Mac G3 Blue & White von 1999, erstmals mit iMovie

Ein Besuch im Technik-Museum.

Constantin, Harald, Hermann und Norman über ihr Equipment

Weiß jemand, wie der Beamer funktioniert? Ein Satz von ewiger Schönheit, so alt, wie der Beamer selbst, und so aktuell, dass er auch heute noch regelmäßig als beliebtes Eröffnungszitat bei Präsentationen Verwendung findet. Vor der Erfindung von Keynote präsentierte man beim Kunden noch nach alter Väter Sitte: mit Pappen. Das waren feinste Farbausdrucke auf teuren, schwarzen Pappkartons, liebevoll von Praktikanten mit Hilfe von literweise Sprühkleber aufgezogen, vornehmlich im Mondlicht in der Nacht vor der Präsentation. Kleine, aufwendige Meisterwerke, nicht selten vom Kunden in weniger als einer Minute vernichtet. Da werden Erinnerungen wach, gute und schlechte.

Der Klassiker unter den Sprühklebern von 3M, heute noch in den Lungen vieler ehemaliger Praktikanten.

Auf in die Materialschlacht!

Constantin, Hermann und Norman über Pappen, Dias und Mappen

Apfel c, Apfel vWollte man vor 18 Jahren kreativ arbeiten, kam man um die Anstellung in einer Werbeagentur kaum herum. Allein die Anschaffung der nötigen Grafik-Software war für den Amateur kaum rentabel. Heute braucht dieser nicht mehr großartig investieren, um in Heimarbeit durchaus ansehnliche Layouts – im wahrsten Sinne – zu zaubern. Der daraus resultierende inflationäre Einsatz von billigem, austauschbarem Grafikdesign sorgt für eine spürbar sinkende Wertschätzung der kreativen Arbeit. Der Erfolg von Agenturen hat heute daher andere Gründe.

Adobe Photoshop 6.0 aus dem Jahr 2000, neu mit 8.000 Ebenen statt vorher 99. Und der Verflüssigungs-Filter! Üff!

Eine gute Idee bleibt eine gute Idee.

Hermann über Respekt und Wertschätzung gegenüber der Arbeit

„Der Wurm muss dem Fisch gefallen, nicht dem Angler.“ altes Agentur-Sprichwort

Kampagne ist geil. „Ganzheitliche“ Kampagnen sagte man vor 18 Jahren gerne, wenn man auch ein bisschen Internet mitgedacht hatte. Zuerst kam traditionell der TV- und der Funk-Spot, das Plakat und die Anzeige. Alles andere wurde als „Below-the-Line“ bezeichnet: POS-Promotions, Direktmarketing aber auch alles Digitale wurden möglichst genau aus der sog. „klassischen“ Kampagne abgeleitet.
„Digital first“ oder womöglich „Mobile first“ hätte sich im Jahr 2000 niemand, oder nur sehr, sehr wenige Enthusiasten, vorstellen können, ist aber heute Realität, mit hunderten von zielgruppengenauen Touchpoints. Die zeitgemäße Werbebotschaft erreicht die Zielperson und im besten Fall nur diese. Klassische Kampagnen von damals dagegen waren omnipräsent, niemand konnte sich ihrer entziehen. So war die Werbung vor 18 Jahren noch ein wichtiger kultureller Faktor in der Gesellschaft, da sie den öffentlichen Diskurs angeregt hatte.

Oder wie der Holländer sagt: “gierig maakt gelukkig”. Saturn-Kampagne von 2002 bis 2011.

Marken müssen gute Gastgeber sein.

Hermann und Constantin über Kampagnen

Was wäre Don Draper ohne Sterling Cooper? Der ehrbare Beruf des Werbekaufmanns ist in den letzten 18 Jahren irgendwann ausgestorben, heute heißt man Kauffrau/-mann für Marketingkommunikation. Die Hauptaufgabe des Werbekaufmanns war es, regalmeterweise Aktenordner mit Entwürfen, Layouts, Briefen, Angeboten und Rechnungen zu bestücken. Eine schöne Zukunfts-Idee von damals hieß „Das papierlose Büro“. Haben wir heute, wer hätte das gedacht? Endlich keine Regale mehr im Büro! Wozu braucht man dann noch ein Office, wenn man immer alle Aktenordner auf dem Notebook bei sich trägt? Antwort: für die Menschen.

Das bürolose Büro in Form des PowerBook G3 aus dem Jahr 2000 mit Combo-Drive (CD und DVD) und SuperDrive (Disketten) sowie Ports für Zip 100, Zip 250, LS-120 SuperDisk, Floppy-Disk-Laufwerk, für eine zweite Festplatte, zu der es aber keinen Adapter gab, und für einen zweiten Akku. Heute: USB C

Das bürolose Büro

Norman über die Vorzüge von Büros

Über Stunden. Viele Vorurteile begleiteten die Werbebranche der Jahrtausendwende; es war landauf, landab die Rede von unzähligen unbezahlten Überstunden, Nacht- und Wochenendschichten. Und zwar zu Recht. Dass man sich niemals zufriedengeben konnte, war ein wichtiger Antrieb für gute Gestaltung. Denn es gibt zu jeder Kommunikationsaufgabe immer mehr als nur eine Lösung. Aber welche ist die Richtige?

Das findet man nur heraus, wenn man alle Ideen bis zum (manchmal bitteren) Ende vorantreibt. Im Vergleich zu den Mitarbeitern und den Erwartungen von jungen Bewerbern heutzutage zeichnet sich durchaus eine größere Leidensfähigkeit der älteren Generation ab. Eine gesunde Work-Life-Balance wird heute als motivierender – und dem Ergebnis zuträglicher – empfunden als der bedingungslose Arbeits-Einsatz anno 2000, unterbrochen von nervenaufreibenden Kicker-Runden. Die Unterschiede zwischen heute und vor 18 Jahren sind in der Tat bemerkenswert.

Tischfußballspielgerät der Marke „Deutscher Meister“, essenzielles Incentive in Hamburger Werbeagenturen

Bis das Blut kommt.

Constantin, Hermann und Norman über Engagement

Arbeit ist das was man tut, nicht was man hat. Das Jahr 2000, das war auch die „New Economy“, also im Grunde der Wandel vom vorherrschenden produzierenden Gewerbe hin zur webbasierten Dienstleistungsgesellschaft, wie wir sie heute kennen. In den 90er Jahren wurde alles in Frage gestellt, von der kapitalistischen Wirtschaftsweise (hat nicht funktioniert) bis zur hierarchischen Arbeitsorganisation (hat funktioniert). Das abgeschottete Abteilungsdenken mit seinen starren Kontrollinstanzen (oben denken, unten ausführen) der „Old Economy“ wurde Schritt für Schritt abgelöst durch eigenverantwortliches, autonomes Teamwork. Hierbei waren die Agenturen definitiv die Pioniere; die Konzerne erkannten die Umstände, dass Hierarchien Ideenkiller sind, erst sehr viel später oder sind gerade erst so weit.

Museumsstück

Worüber man heute Bücher schreibt.

Harald über die Erfindung des Teamworks

Artikel teilen