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Das bürolose Büro

Ein Home-Office-Selbsterfahrungs-Experiment

Die technische Revolution der vergangenen 18 Jahre ist zweifellos die Mobilität. Mit leistungsstarken Notebooks, die man im Jahr 2000 noch „Laptop“ nannte, und rasant-schnellen Smartphones bewaffnet, können wir die Agentur-Räume hinter uns lassen und arbeiten, wo wir wollen. Vor 18 Jahren noch Zukunftsmusik, die von wenigen Mitgliedern der „Digital Boheme“ (Sascha Lobo), praktiziert wurde, ist das gelegentliche Homeoffice heute völlig normal. Wir bei giraffentoast mögen es eigentlich sehr gern, im Büro beeinander zu sitzen. Trotzdem waren wir neugierig, wie sich eine Woche ohne wohl anfühlen mag. Daher wagten wir den Versuch und arbeiteten einige Tage im August von Zuhause, in der Gartenlaube, im Co-Working-Space und in der Bahn allein und trotzdem miteinander. Hier der Erfahrungsbericht:

Holger auf den Spuren Michels aus Lönneberga

Ich habe mich auf das Experiment gefreut, weil seit längerem zwei Herzen in meiner Brust schlagen. Einerseits bin ich Vater von zwei kleinen Kindern und würde gern mehr von meiner Familie mitbekommen statt nur morgens beim Frühstück und am Wochenende, andererseits waren bisherige Homeoffice Versuche immer ein Spagat zwischen Arbeit und Ablenkung. Für mich also eine Chance für eine neue Form meiner bisherigen Arbeitsweise.

Theoretisch hört sich Homeoffice gut an. Ich kann gleich nach dem Frühstück den Arbeitstag beginnen, meine übliche Fahrtzeit von Büro- zu Haustür und wieder zurück von ca. 90 Minuten fällt komplett weg. „Nine to Five“ statt „Ten to Eight“ hört sich doch prima an.

Das Umfeld für dieses Experiment war allerdings denkbar ungünstig oder, anders gesagt, eine große Herausforderung. Mein Sohn stand kurz vor seiner Einschulung und war deshalb den ganzen Tag zu Hause und verständlicherweise furchtbar aufgeregt. Zur Einschulung reiste dann noch die Familie an und freute sich, dass ich auch den ganzen Tag da sein würde. Wir hatten uns lange nicht gesehen. Aber wie soll man da arbeiten? Zu Beginn war es noch lustig, weil ich nach dem Frühstück noch meine Mails checkte und mich über Slack mit den anderen austauschte und gleichzeitig ein Gespräch über die aktuellen Lego Zug Modelle führen konnte. Als dann aber ein kleines Missgeschick meiner Kinder in Form von umgekippten Kaffee fast mein Laptop gekillt hätte, war die neu gewonnene Work/Live-Balance auch schon gefährdet.

Also Rückzug – in den einzigen Raum, der noch nicht voller Menschen war: der Tischlerschuppen. Hier konnte ich für einige Stunden konzentriert arbeiten. Es dauerte aber nicht lange bis die Familie auch diesen Rückzugsort als Spielwiese entdeckt hatte: „Papa willst du nicht lieber ein Piratenschiff basteln?“

Schuppen
Grafik-Design ist Handarbeit. Das richtige Werkzeug freut den Handwerker!

Nach drei Tagen Homeoffice muss ich diese Form der Arbeit in dieser Konstellation für mich leider als gescheitert erklären. Bin ich zu Hause anwesend, bin ich auch für alle Freuden und Probleme des Alltags verfügbar. Sei das nun eine Frage, ein Angebot zu Mittagessen oder Kaffeepause, ein Problem, eine Bitte – es bleibt am Ende ein kaum abzuwehrender Strom an Ablenkungen. Den Unterbrechungen denen man im Büro durch Telefon oder Fragen von Kolleg*en aus dem Wege gegangen ist, ist man so im Homeoffice auf andere Art ausgeliefert. Vielleicht würde ein Raum mit abschließbarer Tür, ein Befehl an die Kinder zur „unbedingten Ruhe während der Vater arbeitet“, helfen, aber warum sollen sich alle nach mir richten? Dann kann ich ja auch gleich ins Büro gehen?

Homeoffice ist für mich gut machbar, wenn ich mal einen Tag raus aus der Mühle möchte und die Arbeit selbst eher reflektierender oder theoretischer/konzeptueller Natur ist. Ein arbeiten unter Druck, gegen die Zeit oder mit der Anforderung eines regen Austauschs im Team oder mit dem Kunden ergibt für mich zu Hause keinen Sinn. Natürlich kann ich auch von zu Hause arbeiten, aber dann immer mit einem limitierten Zeitfenster und Ruhe bis die Kinder wieder zu Hause sind. Danach ist Arbeit nur noch im Spagat möglich und abends, wenn man um 21 Uhr erschöpft aufs Sofa fallen möchte ist bis auf organisatorische Aufgaben oder Mails und Social Media für mich keine Arbeit mehr sinnvoll.

Aber vielleicht reicht das ja für manche Tage auch. Vielleicht sind 5 Stunden konzentrierte Arbeit und darauf folgende intensive Zeit mit der Familie in dieser Lebensphase sinnvoller und inspirierender als eine erzwungene 60-Stunden-Woche mit diverse Umsonst-Stunden für den Kunden XY oder einer Extra-Idee, die danach im Papierkorb landet? Ich führe jetzt für mich den Casual-Homework-Friday ein und mache alle 2 Wochen um 14 Uhr Schluss. Mal gucken, ob das funktioniert.

Stille Tage in der Birkenschlucht

Bastian als Einsiedler

Tag 1Der Kleingartenverein Birkenschlucht ist romantisch im Volkspark eingebettet. Mit nur 19 Parzellen ist es eine sehr kleine Kolonie. Mit anderen Worten: Dienstag vormittag? Niemand ist da. Ganz allein.
Das Wetter ist gut! Die Vögel zwitschern, die Bienen brummen und die Wespen sind noch nicht aufgetaucht. Strom ist da, Kaffeemaschine läuft. Herrlich! Wenn man nicht genau hinhört, könnte man den Verkehrslärm der nahen A7 mit einer stetigen Meeresbrandung verwechseln.
Der Arbeitsplatz ist schnell aufgebaut. Gartentisch auf der Terrasse, Polster auf die Bank, Laptop, 2ter Monitor, Wacom Tablett – und Ausblick auf 100-jährige Buchen. Das Internet kommt über einen Handyhotspot. Hoffentlich reicht mein Datenvolumen, sonst könnte es schwierig werden.
Statt Plausch mit den Kollegen, chatten über Slack. Geht gut.
Generell komme ich gut voran. Wenig bis gar keine Ablenkungen. Kein Telefon, und keine Gespräche die man mithören „darf“.
Gegen Mittag wird im Garten geschaut, was die Feldfrüchte so hergeben. Äpfel, Wein und Himbeeren. Die Tomaten sind leider noch grün. Danach wird es Zeit für den Sonnenschirm, sonst ist auf dem Monitor nichts zu sehen. Gegen Feierabend wird alles zusammengepackt und mit nach Hause genommen. In Lauben wird gerne eingebrochen. Wäre doch schade um die ganze Arbeit.

Laube
Bastians Arbeit trägt Früchte

Tag 2Oh ha, mein Datenvolumen scheint zu neige zu gehen. Anhänge werden nur sehr laaaangsam rausgeschickt. Oder liegt es gerade an G3 statt LTE? Gerade die Videodateien saugen viel ... Jetzt klappt es wieder. Wieder Sonnenschirmwetter. Da wir einen Livegang haben geht es vormittags etwas hektisch zu. Letzte Details müssen noch gefixt werden. Normalerweise würde man sich über den Tisch etwas zurufen, oder Fragen stellen. Jetzt geht alles über Slack. Funktioniert aber auch, trotz mancher Verständnisschwierigkeiten.
Heute sind die Nachbarn da: Rasenmähen, Kindergeschrei, kurzer Plausch über den Zaun. Auch gut. Nicht ganz allein im Wald.

Datenvolumen des Tages: 430 MB

Laube
Wie bei Google: eine Rutsche im Büro

Tag 3Wieder alles aufbauen, die Routine ist bereits voll da. Die Kaffeemaschine röchelt leise vor sich hin, der Monitor wird aus seinem Versteck gekramt, die Kabel verlegt.
Auch heute ist der Arbeitstag wieder sehr produktiv: wenig bis keine Ablenkung. Zum Glück gibt es heute nicht viele Daten zum Austauschen. Das Datenvolumen ist kein Problem. Um die Mittagszeit kommt wieder der Sonnenschirm zum Einsatz. Besinnliche Ruhe, dafür aber auch wenig Smalltalk mit den Kollegen - und wenn dann nur digital. Im Moment finde ich es optimal, aber ob man das immer so haben möchte? Wenn man etwas vergessen hat, oder sich nichts zu essen eingepackt hat, ist der nächste Mittagstisch – oder Apple Store weit. Bei Regen und im Winter wird es sicherlich nicht ganz so gemütlich. Im Winter wird das Wasser abgestellt, und eine richtige Heizung gibt es auch nicht.

Fazit: Eher ein saisonaler Arbeitsplatz – dafür aber sehr gut für Projekte geeignet, die wenig Austausch benötigen.

Datenvolumen des Tages: 153 MB

Sarah wagt ein Start-Up-Abenteuer

Ich habe in einem Co-Working-Space in Hamburg Altona gearbeitet. Da unser Experiment nur eine Woche ging, habe ich einen Platz im Open Space gemietet, quasi Großraumbüro mit Co-Workern aus den unterschiedlichsten Branchen. Ein großer Vorteil, wenn man networken will und eine Möglichkeit, Menschen aus anderen Branchen kennen zu lernen. In meinem spezifischen Fall war das eher nicht so möglich, weil der von mir gewählte Co-Working-Space nicht so zentral lag und somit eher leer war.

Co-Working 1
Wenn man selber dekorieren dürfte, stünde da morgen ein Lebkuchenhaus!

Ein Nachteil des Open Space, du musst deinen ganzen Kram jeden Abend wieder mit nach Hause nehmen.
Die Kommunikation mit den Kollegen habe ich als erstaunlich gut empfunden, Slack und bei Bedarf telefonieren funktioniert für den Alltag gut, komplizierter wird es wohl, wenn man sich detaillierter über etwas abstimmen möchte. Diesen „Ernstfall“ gab es in der Woche nicht.

Fazit: Für Selbständige bzw. Leute, die in einer fremden Stadt auf Projektbasis arbeiten, eine tolle Sache, da man auch die ganze Infrastruktur eines Büros geboten bekommt. Für ein Team wie Giraffentoast würde ich dann doch eine Mischung aus festem Büro und Homeoffice wählen.

Co-Working 2
A little bit of home, wie im Valley

Stella arbeitet global und reist regional

Die Bahn wirbt ja damit, dass man prima in ihr arbeiten kann, so wäre die Fahrt zur Kundenpräsentation effektiv für die Arbeit nutzbar. Eine Kundenpräsentation stand nicht auf dem Programm, aber, dachte ich mir, der Weg ist das Ziel. So fuhr ich drei Tage hintereinander von Rendsburg nach Hamburg. Und wieder zurück. Und wieder hin. Insgesamt habe ich also 6 Regionalbahnfahrten pro Arbeitstag absolviert. Bahnfahren am Limit!

Ich sage mal so: Spannend war eigentlich nur die erste Fahrt. Die Tage sind relativ ähnlich verlaufen. Der Schaffner und ich kannten uns bald persönlich, das war schön. Unterschiede gab‘s da eigentlich nicht. Die einzige Entwicklung war nur, dass ich meine Arbeitszeiten den Hauptreisezeiten angepasst bzw. versucht habe, diese zu meiden, um in Ruhe arbeiten zu können. Daher bin ich morgens eine Stunde später losgefahren, so dass der Zug relativ leer war und statt den ganzen Berufspendlern und Schülern waren nur noch vereinzelt Leute auf Urlaubs- oder Heimreise im Zug.

Man kann es sich also tatsächlich so vorstellen, wie die Bahn es in der Werbung verspricht. Ich würde lediglich ein paar Details der Werbebotschaft hinzufügen, die kommen mir nach dem Experiment etwas zu kurz:

Ein ICE mag auf ruhigen Schienen über die Lande rauschen, die Regionalbahn ist dagegen eine buchstäbliche Rumpelkammer: Ein ständiges Ruckeln der Waggons schüttelt einen pausenloses durch. Die Fahrgäste sind in der Realität auch eher das Gegenteil des besonnen Süddeutsche-Zeitung-Lesers: Unentwegtes Geplapper und Kindergeschrei in Düsenjäger-Qualität schaden der Konzentration immens (auch wenn man versucht, alles um sich herum zu ignorieren, hört man doch immer wieder mit einem Ohr zu).

Auch wird die Berufsgenossenschaft wohl durchdrehen, wenn ich anfange, über die Ergonomie zu sprechen. Um halbwegs vernünftig arbeiten zu können, fehlt es entschieden an Platz. Das Arbeiten mit der Maus ist nahezu unmöglich bzw. nur auf dem Schoß machbar. Rückenschmerzen aufgrund unbequemer Sitze hatte ich schon am ersten Tag.

Dann kann man seine sieben Sachen nicht unbeaufsichtigt an seinem „Arbeits“-Platz lassen, um auf Toilette zu gehen. Bordbistro wäre mal schön gewesen, aber ich höre ja schon auf. Über Kommunikationsschwierigkeiten mit den Arbeitskollegen aufgrund fehlender oder schlechter Internetverbindung möchte ich nun gar nicht mehr reden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Arbeiten im Zug sehr anstrengend und für die Arbeit an sich eher kontraproduktiv ist. Wer das täglich machen muss, tut mir von Herzen leid. Nie habe ich mich mehr auf das Büro gefreut!

Bahn 1
Gut, dass der Schaffner und ich jetzt per du sind, da kann er gleich ein Foto von mir machen.

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